HEADACHE - zine #1

auszug "müll":

Frank war 14. Und von da an ging es bergab! Seine Geschichte ließt sich wie das die Broschüre der Informationsstelle zur Drogenprävention. Jetzt war er siebzehn und ganz unten. Oder ganz oben. Kommt auf den Betrachtungspunkt an.

In den Kreisen in denen er verkehrte kannte fast keiner seinen bürgerlichen Namen. Alle nannten ihn „Müll“. Eine Art Spitzname wie ihn jeder ordentliche Punker braucht. Zu dem Namen war er gekommen, als er mit 15 im Vollsuff und vollgekotzt im Komposthaufen, der im elterlichen Garten gelegen war, eingepennt war. Sein langjähriger Kumpel Tobias hatte die Szenerie beobachtet und ihm diesen Namen gegeben. Dieser war es auch, der als einziger noch seinen richtigen Namen kannte. Zu dumm nur das Tobias, dessen Spitzname „Assel“ war und den er sich selber gegeben hatte, weil er bis zu dem berüchtigten Absturz seines Freundes nichts dergleichen vorzuweisen hatte aber trotzdem dazu gehören wollte, im alter von 16 Jahren schon an einer Überdosis Heroin verreckt war. Nach seinem Tod hätte er sich authentischer weise den Namen „Nadel“ geben können, aber wer gibt schon Toten Spitznamen. Dies war wenn überhaupt in Mafiakreisen Gang und Gebe, aber unglücklicherweise kamen die beiden weder aus Sizilien geschweige denn aus einer Großstadt, wo Drogentote ja zum guten Ton gehören, um die Statistiken zu füllen. Nein. Beide kamen aus der dörflichen Einöde irgendwo zwischen Lüneburg und Celle. Also dort wo sonst eigentlich nichts passiert. Und genau das war ihr Problem. In dieser gottverlassenen Gegend gab es nichts und niemand. Bis zu dem Tag, als sie einen der Schmuddelpunks in der Celler Innenstadt kennen lernten. Aber was gibt es da groß zu erzählen. Ihr alle wisst wahrscheinlich wie das läuft. Zur Langeweile gesellt sich der jugendliche Suff und das Experimentieren mit Bewusstseinserweiternden Substanzen die wahrlich nicht leicht aufzutreiben waren. Und somit investierten beide schon früh in die Dinge, die ihren Hass auf Gesellschaft, Eltern, Bullen und alle anderen katalysierten.

Nachdem Assel in einer öffentlichen Toilette im Stadtgarten gefunden wurde kam Alles ans Licht. Müll kam in Bedrängnis. Seine Eltern, selbst beide völlig kaputte Auswüchse des lang vergangenen Wirtschaftswunders, die sich in ihrer Jugend mit hippiesken Protesten für revolutionär hielten, aber mit voranschreitender Zeit auch einfach nur bürgerlich wurden, und damit meine ich bürgerlich im Sinne von arbeitslos und alkoholkrank, machten sich schon lange Sorgen um ihren Sohn und seine schlechten Schulnoten.

Nachdem sein bester Sandkastenkumpel nun elendig abgekratzt war wollten sie mehr Wissen. Aber darauf hatte Müll keinen Bock. Sie würden ihn eh nicht verstehen. Wie auch? Sie wussten nicht was Punk war. Das wusste er selber nicht. Aber das war ja das gute an Punk. Punk konnte alles sein. Punk war alles. Was bei ihm mit ein paar harmlosen Bundeswehrstiefeln, Nietenkutte, grünen Haaren und lauter Musik angefangen hatte entwickelte sich mit der Zeit immer mehr weg vom Optischen hin zum Inhaltlichen oder in seinem Fall Inhaltslosen. Wieder eine Frage der Sichtweise. Soll im Klartext jedoch heißen, dass die akribische Mühe der Instandhaltung der Kutte in akribische Selbstzerstörung überging. Buttons wurden nicht mehr durch das Leder gestochen sondern gleich durch die Haut. Auf der einen Seite zur Belustigung und Männlichkeitsritual für die wenigen Freunde auf der anderen Seite um seinem Körper in irgendeiner Weise Reize zuzuführen. Es sei dahingestellt, ob Müll eine schwierige Kindheit hatte, zumal er ja aus dieser auch noch nicht wirklich heraus war. Schwierig wurde es erst nach Assels für Außenstehende nicht gerade überraschendem Ableben. Mülls Eltern wollten ihn in ein Internat schicken. Aber das war für ihn keine Option.

Also machte er sich aus dem Staub. Seine erste Etappe brachte ihn mit dem Bus nach Unterlüss, jene verkomme Stadt, die es ohne den dortigen Bundeswehrstützpunkt wohl nie gegeben hätte. Und gerade dieses machte diesen Flecken für Müll uninteressant. Also machte er weiter nach Hamburg. Diese Stadt kannte er nur von Einkaufsausflügen mit seinen Eltern in der frühen Kindheit. Als er den Bahnhof verließ wusste er, dass es noch ein anderes Hamburg gab. Zumindest hoffte er dies, denn seine Lieblingsband Slime kam schließlich aus dieser Stadt. Er war halt naiv. Und die 80er waren vorbei. Am Ausgang Süd des Hauptbahnhofs traf er dann auch gleich auf Genossen der Selbstzerstörung und investierte die 50 Mark, die er vor seiner Flucht aus der Geldbörse seiner Mutter geklaut hatte in einen Bobel Hasch. Für H reichte es nicht. Fuck. Aber er war eh der Ansicht seinen Konsum nach Assels Tod etwas zu senken. Zumindest für einen Augenblick um wieder klar zu kommen. Er stellte sich ihnen vor. Ihre Namen erfuhr er nur durch nachfragen. Sein Name war ihnen egal. Jeder der schon einmal in einer eingeschworenen Clique war weiß wie scheißegal die Namen von neuen Leuten sind. Diese müssen sich erst beweisen, um dazu zu gehören.

Dies lernte Müll schnell. Nach der ersten Nacht an der Binnenalster raubte er einer Oma die Handtasche und kaufte von seiner Beute Bier für die anderen, die ihm erst nicht glauben wollten wie er an des Geld gekommen war bis er ihnen einen abgerissenen Finger der Oma reichte. Sie war schon etwas morsch. Anders konnte er sich nicht erklären, dass der Finger nach dem etwas gewaltsamen Entwenden der Tasche zu Boden fiel. Und das war auch der Moment an dem alles absurd und er in der Clique aufgenommen wurde.

Nun erzählten auch die anderen von ihren Heldentaten. Knüppel, ein hochgewachsener von Schleppe und Krätze zerfressener Altpunk erzählte wie er einmal im Straßenkampf einem Bullen den Schädel mit dem eignen Schlagstock zertrümmert hatte. Ihr könnt euch denken woher sein Spitzname kam. Knochen, der seinen Namen dafür bekam, dass er lieber Schlachtreste für seinen Köter schnorrte als Kleingeld, brüstete sich damit, dass er einem Yuppie das Kaubrett mit einer alten Bierpulle entfernt hatte. Müll merkte schnell, dass er es hier mit echt harten Kerlen zu tun hatte und war dankbar, dass die Oma so morsch gewesen war. Ohne den Finger wäre er niemals akzeptiert worden.


__________________________________________________________________

____________________________________________________________________


auszug "auf den letzten meter":

Er wachte auf und rieb sich die Augen. Die Sonne schien ihm in sein Gesicht. Sein Bett war so angeordnet, dass bei Sonnenaufgang die ersten Strahlen der Sonne in sein Gesicht schienen. Er war jedoch nicht einer von diesen Menschen, die dermaßen viele Gedanken über so etwas bei der Einrichtung ihrer Räumlichkeiten machten. Es war einfach so. Nicht einfach so war dieser Morgen. Nicht so wie die unzähligen anderen, die er vorher erlebt hatte. Er war schon unter den unmöglichsten Umständen, an den unmöglichsten Orten und mit den unmöglichsten Geisteszuständen aufgewacht. Und obwohl er bei sich zu hause, in seinem Bett, in seinem Zimmer aufwachte war alles anders.

Er konnte nicht benennen was es war und das ließ ein leichtes Gefühl des Unbehagen in ihm aufsteigen. Er befühlte seinem Körper unter der warmen Decke. Alles in Ordnung. Ok. Er drehte den Kopf zur Seite und schaute auf den Platz neben sich. Er war leer. Aber das war er schon lange. Und wenn mal jemand neben ihm schlief war es meistens Besuch, Freunde oder Bekanntschaften... Diesen blick zur Seite machte er fast jeden morgen. Seid Monaten. Seinem Gefühl nach schon seid Jahren. Und dieser Blick stimmte ihn immer ein wenig traurig, auch wenn er sich damit abgefunden hatte, dass sich dieses morgendliche Ritual nicht so schnell ändern würde. Doch an diesem morgen war es ihm egal. Er schaute zur Seite und empfand nichts. Eigentlich fand er es auch recht angenehm, denn er war schon lange kein Freund des Menschen mehr. Auch dachte er nicht darüber nach was ihm der heutige Tag bringen würde. Und um ehrlich zu sein, immer wenn er das tat war er am Ende des Tages enttäuscht gewesen. Die Gründe hierfür waren unterschiedlicher Natur, aber meistens lag es an ihm selbst. Er überlegte sich keine Erwartungen mehr zu erheben. Er war es leid.

Seine Hände fuhren über sein Gesicht. In den Augen bemerkte er eine leichte Kruste, die bei der Berührung zerbröselte. Seine Augen fixierten die Zimmerdecke. Seine Finger glitten über seinen Oberkörper. Die spitzen waren kalt und als er seine Brust berührte zuckte er zusammen und fragte sich wie es sich anfühlen würde, wenn die Hand eines anderen Menschen ihn berühren würde, denn auch körperliche Nähe war meistens etwas was ihn abschreckte. Dieses Gefühl hatte er nicht vergessen, aber er war sich nicht mehr sicher ob das was er unter dieser Aktion in seinem Gedächtnis abgespeichert hatte der Wirklichkeit entsprach oder eher seiner Vorstellung wie es sich angefühlt hatte... und so ging es ihm auch mit anderen dingen. Er drehte den Kopf zur anderen Seite und entdeckte auf seinem Nachttisch einen halbleeren Becher mit Doppelkorn und versuchte den vorangegangen Tag in sein Gedächtnis zurückzurufen. Zeitgleich mit dem Anblick des Bechers bemerkte er einen starken Schmerz in der vorderen Hälfte seines Schädels. Sollte das ein Kater sein? So etwas hatte er schon lange nicht mehr gehabt. Nicht, dass er schon lange nicht mehr gesoffen hatte, aber mit der Übung im Saufen kam auch die Fähigkeit die Folgen erfolgreich zu verdrängen. Aber da an diesem morgen vieles anders war funktionierte auch die Verdrängung nicht.

Er setzte sich auf und suchte nach seiner Kippenschachtel. Er fand sie unter einem Buch von E.W. Heine. Hatte er noch gelesen bevor er eingeschlafen war? Er zog eine Kippe aus dem Softpack RotHändle. Er mochte diese Zigaretten. Sie waren stark und verströmten eine ekelhaften Berbergeruch, wo immer man sie auch rauchte. Bevor er sie anzündete zog er noch einen dicken Klumpen Schleim aus seinen Bronchen hoch und rotze ihn in den Aschenbecher. Wenigstens etwas war gleichgeblieben, aber das bemerkte er nicht.

Als er an der Kippe das erste mal gezogen hatte merkte er, dass er kotzen musste. Er sprang auf und rannte Richtung Klo. Nach wenigen Schritten merkte er jedoch, dass seine Beine nicht so wollten wie sein Gehirn. Er suchte nach einem Behältnis in dem er sich entleeren konnte, aber außer seinem Bett befand sich nichts mehr in seinem Zimmer. Doch die Verwunderung über das fehlende Inventar konnte seinen Kotzreiz nicht unterbinden und zwei Sekunden später prasselte der erste Strahl Erbrochenes auf den Fußboden. Der saure Geschmack des Auswurfs ließ ihn ein zweites mal erbrechen. Er merkte noch wie kalter Schweiß über seine Stirn rann und Kälte seinen Körper durchströmte. Ihm wurde schwindelig und vor seinen Augen verschwamm alles bevor er erschöpft zusammensackte.

Als er aufwachte lag sein Gesicht in der Kotze. Normalerweise überkam ihm schon bei dem Gedanken daran der pure Ekel, aber da an diesem Tag alles anders war nahm er nur sein altes ausgewaschenes T-Shirt, welches er schon seid Ewigkeiten trug und wischte sich durchs Gesicht. Er fühlte sich schwach, aber dann bemerkte er wieder den leeren Raum, in dem sich neben seinem bett jetzt noch eine Lache Kotze befand. Nach einem kurzen Moment der Verwunderung und des Nachdenkens was wohl hier geschehen sei durchdrang ihn das Gefühl der Gleichgültigkeit. Natürlich war es bizarr das alles was er besaß nicht mehr da war, aber auf der anderen Seite fragte er sich auch was ihm das alles bedeutete und kam zu dem Ergebnis, dass es ihm nichts mehr bedeutet, denn an diesem Tag war ja eh nichts mehr wie sonst. Es war ihm egal und er entschloss keinen Gedanken mehr daran zu verschwenden und dieser Entschluss erfüllte ihn mit großer Zufriedenheit.

Er stand auf und ging ins Bad und stellte sich unter die Dusche. Das Wasser kam kalt und er wunderte sich, dass er es nicht als unangenehm empfand. Das Wasser rann an seinem Leib herunter und er spürte jeden einzelnen Tropfen an jeder einzelnen Stelle seines Körpers. Es fühlte sich schön an. Und so stand er dort unter der Dusche und gab sich den Strahlen des Wassers hin. Für Stunden. Er zählte sie nicht, denn zum ersten mal seid langem hatte er das Gefühl wieder etwas zu fühlen. Etwas neues. Er war gefangen. Erst als es klingelte schreckte er auf. Er stieg aus der Dusche und bemerkte, dass diese übergelaufen war. Wahrscheinlich war mal wieder der Abfluss mit Haaren verstopft. Er ging zur Tür und öffnete sie. Vor ihm stand der Typ, der unter ihm wohnte. Er kannte seinen Namen nicht. Der Typ war empört darüber, dass Wasser durch die Decke in sein Wohnzimmer tropfte und seine Ikeamöbel nass geworden waren. Er hörte zwar das Gemecker, aber er wollte es nicht hören. Er hörte nur noch so etwas wie „...und jetzt stehen sie hier nackt vor mir und sind sprachlos, was? Hören sie mir mal zu. So etwas geht doch nicht, sie Schwein. Schämen sollten sie sich. Zum glück ist meine Frau nicht hochgekommen. Die hätte ihnen gleich zwischen die Beine getreten. Besorgen sie sich mal ein Leben...“! Er schlug die Tür mit einem Lächeln im Gesicht zu. Was wollte dieser Penner eigentlich? Er ging in das Zimmer seiner Mitbewohnerin und suchte nach ein paar Kleidungsstücken, die ihr Freund vielleicht vergessen hatte. Fündig wurde er nicht. Also nahm er sich von ihr ein paar Sachen, die er sich über den Leib zwängte. Diese passten zwar nicht hundertprozentig und eigentlich gefiel ihm auch ihr Stil nicht, aber was sollte er sonst machen? Was war überhaupt los? Zum ersten mal an diesem Tag machte er sich ernsthafte Gedanken über was eigentlich geschehen war. Aber je länger er darüber nachdachte desto weniger machte alles Sinn. Also ließ er es. Er ging noch einmal ins Bad und schaute in den Spiegel. Er betrachtet sein Gesicht. Er war schlecht rasiert und seine Augen schienen müde. Er erfühlte alle Partien, um zu prüfen ob er überhaupt noch da und echt war. Er war es. Dann ging er in die Küche. Chaos. Er wollte einen Kaffee kochen, aber die Filterbeutel waren alle. Also nahm er den, der noch in der Maschine war und brühte ihn noch einmal auf. Das dieser aber schon total verschimmelt war interessierte ihn nicht. Wie ein Junky seinen Shit braucht so brauchte er seinen Kaffee am morgen. Und so wie ein Junky die Spritze eines anderen auf der Bahnhofstoilette nahm so nahm er halt den schon gebrauchten Filterbeutel. Mit dem Unterschied, dass man Heroin nur einmal aufkocht und sich dann in die Venen jagt. Kaffee hingegen lässt sich mehrmals aufbrühen. Nur ist die Wirkung nicht mehr so stark. Der Vergleich mit einem Junky gefiel ihm nicht und er hielt ihn für zu hart, aber das hier war das leben und das war seinem Opa nach zu Folge „eines der härtesten“. Aber Opa war ja auch ein Nazi kam ihm in den Kopf und er musste schmunzeln.